Zuletzt geändert am 20. August 2023 von Sonja

Überreste eines Hochgebirges: Das Variszikum in Deutschland

Bestimmt hast Du schon von den „Mittelgebirgen“ Deutschlands gehört, vielleicht warst Du auch schon mal in einem. Doch wusstest Du, dass ein „Mittelgebirge“ geologisch gesehen gar kein Gebirge sein muss – viele Mittelgebirge jedoch Überreste eines alten Hochgebirges (eines „echten“ geologischen Gebirges) sind?

Erfahre Du mehr über die geologischen Vorgänge, die den geologischen Aufbau Deutschlands und damit auch dessen Geographie wesentlich prägen.

„Gebirge“

„Mittelgebirge“ ist kein geologischer Fachbegriff, sondern stammt aus der Geographie. Man bezeichnet damit einfach eine Region, die mehrere hundert Meter über die Nachbarregionen herausragt – der Grund dafür hängt aber natürlich meist damit zusammen, dass sich die Regionen auch geologisch voneinander unterscheiden. Ein geologisches „Gebirge“ (Orogen) entsteht immer durch plattentektonische Vorgänge an Plattengrenzen – die daher als Gebirgsbildung oder Orogenese bezeichnet werden. Orogene werden, solange sie (geologisch) „jung“ und noch nicht abgetragen (erodiert) sind, geographisch als „Hochgebirge“ bezeichnet.

Um die Verwirrung in Grenzen zu halten, verwende ich im Folgenden den Begriff Orogen, wenn die geologischen Prozesse bedeutend sind, die Begriffe (Mittel- oder Hoch-)gebirge, wenn die geographisch Beschreibung gemeint ist.

Die meisten Mittelgebirge Deutschlands sind also tatsächlich Überreste eines Hochgebirges, das sich vor rund 300 Millionen Jahren über das ganze heutige Mitteleuropa (und darüber hinaus) erstreckte. Es war vermutlich höher als die Alpen (eher wie der Himalaya heute) und wurde nach dem germanischen Stamm der Varisker (auch Narisker) benannt: Das variszische Gebirge (Orogen), kurz Variszikum.

Auf dieser Karte siehst Du die Gebiete, in denen das Variszikum aufgeschlossen ist – also an oder nahe der Erdoberfläche zu finden ist. Aus Platzgründen sind nicht alle Mittelgebirge einzeln beschriftet.

Statt Variszikum liest man (insbesondere in älterer Literatur) auch die lateinischere Schreibweise Variscicum. Auch das Adjektiv gibt es in verschiedenen Formen: variscisch, variszisch oder auch variskisch …

Dabei hat die heutige Morphologie, also die Tatsache, dass es sich heute um Mittelgebirge handelt, nicht einmal unmittelbar etwas damit zu tun, dass es einst dieses Hochgebirge gab. Vielmehr wurde dies weitgehend eingeebnet und mit jüngeren Sedimenten bedeckt, die wiederum teilweise erodiert wurden. Die heutigen Mittelgebirge haben wir Hebungsbewegungen zu verdanken, die erst durch die Entstehung der Alpen ausgelöst wurden – 200 Millionen Jahre nach der Existenz des Hochgebirges.

Beachte: Es gibt auch Mittelgebirge, die nichts mit dem Variszikum zu tun haben. Beispielsweise wurden Rhön und Eifel durch wesentlich jüngeren Vulkanismus verursacht. Auch relativ harte Sedimentgesteine können Teile von Mittelgebirgen bilden (so zum Beispiel der Buntsandstein-Odenwald). In diesem Artikel geht es im Folgenden ausschließlich um variszische Mittelgebirge, die Du auf der Abbildung oben sehen kannst.

Die gemeinsame variszische Entstehung einiger heutiger Mittelgebirge erklärt jedoch auch, warum diese untereinander geologische Ähnlichkeiten aufweisen, die auch zu ähnlicher Morphologie führen.

Doch der Reihe nach.

 

Die variszische Gebirgsbildung

Beachte: In diesem Artikel kann ich nur einen sehr knappen Abriss über die variszische Gebirgsbildung (Orogenese) geben. Die Vorgänge sind natürlich wesentlich komplizierter (und auch von den Forschenden nicht alle im Detail verstanden). Dennoch beginnen wir mit der Vorgeschichte der variszischen Gebirgsbildung, da diese nur so zu verstehen ist.

Zu Beginn des Paläozoikums (also vor 550 Millionen Jahren) gab es sechs größere Kontinente, darunter den großen Südkontinent Gondwana und nördlich davon Laurentia (im Wesentlichen das heutige Nordamerika und Nordeuropa) sowie Baltica (das heutige Nordosteuropa). Das heutige Deutschland war Teil von Gondwana. Davon spalteten sich im gesamten Paläozoikum immer wieder Mikrokontinente ab, die nach Norden wanderten und mit den nördlichen Kontinenten kollidierten und dabei Gebirge bildeten.

Vom Kambrium bis ins Devon entstand aus Laurentia und Baltica der Kontinent Laurussia. Diese Vorgänge werden als kaledonische Gebirgsbildung bezeichnet, die Gesteine sind beispielsweise in Schottland und Norwegen aufgeschlossen. Ebenso kollidierte der kleine Kontinent Avalonia (das heutige Norddeutschland und angrenzende Gebiete) mit Baltica. Dabei wurde der sogenannte Tornquist-Ozean geschlossen. Von Avalonia und dem Tornquist-Ozean sind im Untergrund Norddeutschlands Überreste zu finden.

Südlich von Avalonia befand sich der Rheische Ozean sowie viele Mikrokontinente oder Terrane, die als „Armorica-Terran-Gruppe“ (im Folgenden kurz Armorica) bezeichnet werden. Die Schließung des Rheischen Ozeans und die damit verbundene Kollision von Avalonia und Armorica sind nun die eigentliche variszische Gebirgsbildung. Die Grenze von Armorica und Avalonia verläuft dabei mitten durch das heutige Deutschland, wie auf der Abbildung zu sehen ist (die erste „Wiedervereinigung“ war also die variszische Gebirgsbildung 😉).

Bis zum Ende der variszischen Gebirgsbildung kollidierten dann auch noch die anderen Teile Gondwanas mit Laurussia und es entstand der sogenannte Superkontinent Pangäa, in dem praktisch alle Landmassen zu einem Kontinent vereinigt waren.

Doch nochmal zurück nach Deutschland. Vom Rheischen Ozean, der sich vor der variszischen Gebirgsbildung zwischen Avalonia und Armorica befand, ist geologisch nur wenig überliefert. Daher ist der genaue Ablauf der variszischen Gebirgsbildung nicht zu rekonstruieren, verschiedene Autoren beschreiben die Vorgänge also unterschiedlich. Eindeutig ist jedoch, dass die Gesteine vor rund 320 Millionen Jahren (im Oberen Karbon) gefaltet wurden und es zu „Deckenüberschiebungen” (weiträumigem Transport von Gesteinen über andere Gesteine) kam. Die Bewegungsrichtung war im Norden Richtung Nordwesten, im Süden überwiegend nach Südosten. Die Gesteine wurden dabei unterschiedlich stark versenkt und durch die hohen Temperaturen und Drucke umgewandelt („metamorph“). Da die Erdkruste durch die Gebirgsbildung dicker wurde und sich aufheizte, wurde auch Magma gebildet, das an einigen Stellen aufsteigen konnte und Granite bildete.

Die Grenze der einstigen Mikrokontinente Avalonia und Armorica verläuft quer durch das heutige Deutschland

Zusammengefasst:

Bei der variszischen Gebirgsbildung (Orogenese) wurde entstand der Superkontinent Pangäa. Das heutige Deutschland besteht aus Teilen der früheren Mikrokontinente Avalonia und Armorica, zwischen denen sich vormals der Rheische Ozean befand.

 

 

Was nach der variszischen Gebirgsbildung geschah

Nach der variszischen Gebirgsbildung kühlte die Erdkruste wieder ab, das Hochgebirge sank ab und wurde im Laufe der Zeit durch Erosion weitgehend eingeebnet. Es entstanden große Sedimentbecken mit vielen kleineren Ablagerungsräumen. Im heutigen Deutschland war dies das „Südliche Permbecken“, aus dem sich in der Trias das „Germanische Becken“ entwickelte. In dieses Sedimentbecken konnte im Mesozoikum (Perm, Trias, Jura, Kreide) immer wieder das Meer vordringen und sich wieder zurückziehen. Dadurch entstand eine bunte Abfolge von Flussablagerungen wie beispielweise der Keuper (Trias), und Meeresablagerungen wie die Zechsteinsalze (Perm) oder die Kalksteine der Schwäbischen und Fränkischen Alb (Jura). Die Einzelheiten würden hier den Rahmen sprengen.

Der größte Teil des variszischen Gebirges ist durch diese Ablagerungen bedeckt und dadurch in Deutschland erst in zwei oder mehr Kilometern Tiefe anzutreffen. Während der Entstehung der Alpen wurden durch den damit zusammenhängenden gerichteten Druck aus südlicher Richtung jedoch einzelne Bereiche entlang von Verwerfungszonen wieder herausgehoben („exhumiert“). Die herausgehobenen Bereiche sind jeweils in ihrem Inneren wenig deformiert und werden auch „Bruchschollen“ genannt. Diese Hebung (auch als Bruchschollentektonik bezeichnet) erfolgte selbstverständlich nicht auf einmal, sondern vielmehr in vielen kleinen Bewegungen im Zentimeter- bis Metermaßstab.

So gelangten die Gesteine des Variszikum an einigen Stellen wieder an die Erdoberfläche. Da sie oft härter (widerstandsfähiger) sind als die umgebenden Gesteine, bilden sie morphologisch höhere Gebiete: Mittelgebirge.

Zusammengefasst:

Das variszische Gebirge wurde abgetragen, jüngere Sedimente wurden darauf abgelagert. Während der Entstehung der Alpen wurden einzelne Bereiche wieder herausgehoben, die einige der heutigen Mittelgebirge bilden.

Jedes Mittelgebirge ist natürlich in vielerlei Hinsicht einzigartig. Die variszischen Mittelgebirge weisen jedoch untereinander einige Ähnlichkeiten auf, sodass sie in „Zonen“ gegliedert werden können.

Gliederung des Variszikums in Zonen

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verglich der aus Wien stammende Geologe Franz Kossmat, der später Professor in Leipzig war, die Gesteine in den mitteleuropäischen Mittelgebirgen miteinander. Er verglich insbesondere deren Metamorphosegrad (wie stark also die ursprünglichen Gesteine durch die Gebirgsbildung umgewandelt worden waren) und die Erdzeitalter, in denen die Ausgangsgesteine abgelagert worden waren. Dabei stellte er fest, dass sich der Aufbau einiger Mittelgebirge ähnelte und unterteilte das Variszikum in drei Zonen, die jeweils in breiten Steifen etwa von Südwesten nach Nordosten verlaufen.

Diese Gliederung wurde mit weiteren Daten und moderneren Verfahren noch etwas verfeinert. Auch wurde durch zahlreiche Bohrungen belegt, dass sich die in den Mittelgebirgen aufgeschlossenen Gesteine sich im Untergrund fortsetzen.

Heute werden im Variszikum insgesamt sechs Zonen unterschieden, die mittlerweile auch im Sinne der Plattentektonik (die Kossmat natürlich noch nicht kannte) gedeutet werden können.

Von Süden nach Norden wird das Variszikum Mitteleuropas also in die Zonen Moldanubikum, Saxothuringikum, Mitteldeutsche Kristallinzone, Nördliche Phyllitzone, Rhenoherzynikum und Subvariszikum gegliedert – wie auf der Abbildung zu sehen ist.

Im Folgenden erfährst Du noch etwas mehr über die einzelnen Zonen.

Diese Karte ist dieselbe wie die oben – hier sind jedoch die Zonen des Variszikums durch gestrichelte Linien voneinander abgegrenzt

Die südlichste Zone des Variszikums, die auch den stärksten Magmatismus und Metamorphose aufweist, Magmatismus ist das Moldanubikum (benannt nach den Flüssen Moldau und Donau). Es ist beispielsweise im Schwarzwald und im Bayerischen Wald aufgeschlossen und wird als aktiver Kontinentalrand (Subduktionzone) interpretiert.

Das Saxothuringikum (benannt nach Sachsen und Thüringen) ist vor allem im Thüringisch-Fränkisch-Vogtländischen Schiefergebirge als überwiegend schwach metamorphe, gefaltete Flachmeersedimente des Proterozoikum bis Karbon zu sehen („Thüringische Fazies“). Die „Bayerische Fazies“, beispielsweise im Fichtelgebirge, wurde hingegen in der Tiefsee am aktiven Kontinentalrand abgelagert und ist höher metamorph. Die meisten Geologen interpretieren das Saxothuringikum als Terran von Armorica, die Thüringische Fazies als Ablagerungen im flachen Meer.

Die Mitteldeutsche Kristallinzone wurde von Kossmat noch mit zum Saxothuringikum gezählt, jedoch heute in der Regel davon unterschieden. Die vielen verschiedenen magmatischen und metamorphen („kristallinen“) Gesteine sind vor allem im westlichen Odenwald und Spessart aufgeschlossen. Weiterhin treten sie im Nordwesten des Thüringer Waldes im Ruhlaer Kristallin sowie im Kyffhäuser Kristallin zu Tage. Auch in Hinblick auf Deformation, Metamorphose und Alter unterscheiden sich die Gesteine voneinander. Deswegen wird davon ausgegangen, dass es sich um eine Vielzahl von Terranen Armoricas handelt (wobei die Einzelheiten nicht geklärt sind).

Nach Norden schließt sich nun die Nördliche Phyllitzone an, die von Kossmat zum Rhenoherzynikum noch weiter nördlich gezählt wurde. Der namensgebende Phyllit weist jedoch auf eine höhere Metamorphose hin. Dieser ist, unter anderem zusammen mit Quarziten, Schiefern und Grauwacken im südlichen Hunsrück, dem Taunus und im östlichen Harz („Wippraer Zone“) aufgeschlossen. Die in verschiedene Richtungen weisenden Falten zeigen an, dass die Nördliche Phyllitzone das eigentliche Grenzgebiet der erwähnten Mikrokontinente Avalonia und Armorica darstellt.

Das Rhenoherzynikum ist im Rheinischen Schiefergebirge und dem Harz aufgeschlossen und wurde nach den beiden Mittelgebirgen benannt. Der Harz ist zwar etwas komplizierter aufgebaut und enthält auch Magmatite wie den „Brocken-Granit“, besteht aber sonst aus ähnlichen schwach metamorphen Schiefern, Grauwacken und Vulkangesteinen des Devons und Karbons wie das Rheinische Schiefergebirge.

Die nördlichste Zone und die jüngsten Gesteine des Variszikum bilden das Subvariszikum, in dem im Karbon aus dem soeben gebildeten variszischen Gebirge abgetragene Sedimente abgelagert wurden. Diese nur noch schwach deformiert Gesteine sind beispielsweise im Ruhrgebiet aufgeschlossen.

Zusammengefasst:

Das Variszikum lässt sich in von Südwesten nach Nordosten verlaufende Zonen gliedern, die jeweils ähnliche (beziehungsweise gemeinsam entstandene) Gesteine aufweisen.

In vielen Mittelgebirgen sind also Gesteine aufgeschlossen, die durch die variszische Gebirgsbildung entstanden. Diese Mittelgebirge sind also Überreste des Hochgebirges auf Pangäa.

Komm mit mir in den Taunus und erlebe die faszinierende Geologie dieses Mittelgebirges